„Man jagt jeden Punkt“

- Das Interview der Woche: Nicolej Krickau

Es war das erste Jahr SG Flensburg-Handewitt und das erste Jahr in der Bundesliga für Nicolej Krickau. Vor zwölf Monaten war der Däne noch der neue Trainer, jetzt ist sein Erfahrungsschatz entsprechend gewachsen. Auch ein erster Titel mit der SG steht bereits in der Vita. Die Redaktion sprach mit dem 37-Jährigen. Eine Bilanz.

Nicolej, wie fällt die Bilanz der letzten Saison aus?
Nicolej Krickau: Wir hatten einen guten Lauf in der EHF European League, die vom Wochenende in Hamburg gekrönt wurde. Grundsätzlich zufrieden bin ich mit der Entwicklung vieler Spieler. 18 Minuspunkte in der Bundesliga sind aber zu viel. Da brauchen wir zukünftig eine größere Kontinuität. Die Vorrausetzungen dafür werden in der nächsten Saison aber auch besser sein, wenn wir auf eine weitgehend eingespielte Mannschaft setzen können.

Was waren für dich die Höhepunkte der Saison?
Nicolej Krickau: Der knappe Sieg gegen den THW Kiel mit einem Tor in letzter Sekunde war ein emotionaler Höhepunkt. Auch die Auswärtsleistung in Gummersbach habe ich in sehr guter Erinnerung, da wir gerade im Herbst einige Schwierigkeiten bei Auswärtsspielen hatten. Das Wochenende von Hamburg war aber am schönsten. Die Kooperation mit den Fans, die taktische Umsetzung und die Mentalität – beim Europapokal-Sieg hat einfach alles geklappt.

Und ein Tiefpunkt?
Nicolej Krickau: Der emotionale und mentale Tiefpunkt war die Niederlage im Pokal-Halbfinale gegen Melsungen. Es war nicht die größte Leistungsdelle, da Melsungen an diesem Tag überragend gespielt hat. Von der Leistung war ich am meisten bei unserer Niederlage in Stuttgart enttäuscht. Auf diesem Niveau kann man nicht Abwehr spielen. Das war ein schlechtes Erlebnis, aber vielleicht auch ein wichtiges.

Wie wichtig ist der Erfolg in der EHF European League für die Zukunft?
Nicolej Krickau: Das wissen wir noch nicht. Normaler Weise ist es für eine Mannschaft wichtig, das Gefühl zu haben, dass man etwas gewinnen kann. Wir wissen nun, dass wir an einem Wochenende gegen so starke Teams wie Bukarest oder Berlin bestehen können. Vorher hatte ich bei einigen einen Halbfinal-Komplex wahrgenommen. Der erste Titel ist oft der Anfang für mehr. Vielleicht gibt dieser Titel auch etwas Ruhe für das Umfeld.

Gibt es Dinge, die du ab Sommer anders machen wirst?
Nicolej Krickau: Ja, es sind immer ein paar Veränderungen nötig, um sich zu entwickeln. Das müssen gar nicht so wichtige Dinge sein, etwa andere Abläufe beim Warmup oder dem Wiederaufwärmen vor der zweiten Hälfte. Bei der Spielstruktur werden wir uns überlegen, wie wir in der Abwehr noch mehr variieren können. Außerdem werden wir uns Aufstellungen überlegen, um noch besser in die Gegenstöße zu kommen. Am besten wäre es, möglichst wenige Sechs-gegen-Sechs-Positionsangriffe bewältigen zu müssen. Denn diese sind kraftraubend.

Ihr deckt fast durchgängig in der 6:0-Defensive. Andere Teams variieren mehr. Könnte sich da bei euch etwas ändern?
Nicolej Krickau: Magdeburg und Berlin haben auch eine feste Deckungsvariante, der THW eigentlich zwei – aber die 6:0-Abwehr fand fast nicht statt. Es sind hauptsächlich Mannschaften aus dem Ausland, die mehrere Varianten pflegen. Die haben aber mehr Zeit, um so etwas zu üben. Wir haben in der kommenden Saison aber den Vorteil, mit einer fast identischen Mannschaft ins Rennen zu gehen.

Warum waren der SC Magdeburg und die Füchse Berlin stärker?
Nicolej Krickau: Für beide Teams spricht die größere Kontinuität. Berlin hatte kaum Verletzungen und kann den besten Handballer der Welt aufbieten. Magdeburg hat einen breiten Kader und ist eine Klasse für sich. Wir sind aber gar nicht so weit weg von den Füchsen. Von den vier direkten Vergleichen haben wir nur ein Spiel verloren.

Hat sich in deinem ersten Bundesliga-Jahr das Prädikat von der stärksten Liga der Welt bestätigt?
Nicolej Krickau: Sogar mehr als das. Das Niveau ist Wahnsinn. In jeder Mannschaft steckt so viel individuelle Stärke. Balingen und der Bergische HC hatten jeweils zwei sehr starke Torhüter – und steigen trotzdem ab. Das sagt sehr viel über die Stärke der Bundesliga.

Du hast vor dieser Saison alle Teams genau analysiert. Was waren die größten Überraschungen für dich?
Nicolej Krickau: Fast alle Mannschaften haben ihren Plan A und ziehen diesen auch durch. Sie sind gar nicht so sehr darauf aus, etwas zu verändern. Für mich war alles neu, und mir fehlten die Informationen, was vielleicht geschehen könnte. In Dänemark spielte ich mit GOG so oft gegen Aalborg, dass ich wusste, was Aalborgs Trainer Stefan Madsen in zehn Minuten machen würde. Nun wusste ich nicht, ob etwa Kai Häfner einen sehr guten Tag haben wird und wir ihn irgendwie stoppen müssen oder ob wir ihn laufen lassen können.

Bist du mit deiner Familie auch privat gut in Flensburg angekommen?
Nicolej Krickau: Richtig gut. Wir wohnen seit Januar in Harrislee, die Kinder gehen in Handewitt zur Schule und spielen in Glücksburg Handball. Ein Umzug mit Kindern ist nicht einfach, es lief aber alles gut. Das Familien-Gefühl wurde vom Verein gestärkt. Nun sind wir froh, dass bei uns der Alltag eingezogen ist.

Werfen wir einen Blick voraus: Wie werden sich die Olympischen Spiele auf die Vorbereitung auswirken?
Nicolej Krickau: Die Olympischen Spiele machen alles anders. Johannes Golla, Jim Gottfridsson und Blaz Blagotinsek sind gesetzt, am 3. Juli werden wir auch wissen, wer von den Dänen alles nach Paris fährt. Es wird wohl die halbe Mannschaft fehlen. Bis zum 14. August werden wir deshalb hauptsächlich auf gute Kondition und individuelle Fähigkeiten wie Wurfqualität achten. Zum Glück müssen wir mit Niclas Kirkeløkke nur einen Neuzugang integrieren.